Die Abschlusskonferenz von Liveability nach drei Jahren Projektlaufzeit fand vom 12. bis 14. November im beeindruckenden Riga (Rīga), der Hauptstadt Lettlands (Latvija), statt. Für unsere Ankunft hatten wir uns einen ganz besonderen Tag ausgesucht: den 11. November – den lettischen Unabhängigkeitstag „Lāčplēša diena“ (Tag des Lāčplēsis). Er erinnert an die entscheidende Schlacht des lettischen Unabhängigkeitskrieges im Jahr 1919, in der die lettische Armee die Bermontianer besiegte. Seitdem gedenken die Menschen an diesem Tag der Gefallenen, Veteranen und all jener, die für die Unabhängigkeit des Landes gekämpft haben.
Am Abend des 11. November erlebten wir eine Stadt, die in ein warmes, bewegendes Lichtermeer getaucht war. Wir trafen uns an der Laima-Uhr (Laima pulkstenis), einem ikonischen Treffpunkt aus dem Jahr 1924, benannt nach dem traditionellen lettischen Schokoladenhersteller „Laima“, der seit Jahrzehnten als zentraler Orientierungspunkt und klassischer Treffpunkt für Einwohner*innen gilt. Von dort zogen wir gemeinsam von der Altstadt ans Flußufer der Daugava, vorbei an hunderten Kerzen, die rund um das Freiheitsdenkmal (Brīvības piemineklis) entzündet wurden. Familien und Freundesgruppen versammelten sich mit Fackeln zu stillen Gedenkmomenten, und im Siegespark (Uzvaras parks) erfüllten kraftvolle Konzerte die kalte Nachtluft. Diese besondere Stimmung prägte unseren ersten Eindruck von Riga tief – ein intensiver Auftakt für die bevorstehenden Tage der Liveability-Abschlusskonferenz.
Auftakt im Lettischen Eisenbahnmuseum
Am 12. November öffnete das Lettische Eisenbahnmuseum (Latvijas Dzelzceļa vēstures muzejs) seine Tore für die finale Veranstaltung von Liveability unter dem Titel „Together We Grow – Designing Liveable Cities for Tomorrow“ (Gemeinsam Wachsen – lebenswerte Städte für morgen gestalten). Das Museum liegt direkt am Ufer der Daugava, gegenüber der eindrucksvollen Nationalbibliothek Lettlands (Latvijas Nacionālā bibliotēka). Die Ausstellungshalle ist ein großes, lichtdurchflutetes Gebäude mit historischer Bahntechnik, das Teil des ursprünglichen Bahnhofsareals war und heute als Museumsstandort dient. Die Kombination aus industrieller Architektur, warmem Licht und hervorragender Akustik bot eine eindrucksvolle Kulisse. Das engagierte Team aus Riga hatte ganze Arbeit geleistet – wofür wir an dieser Stelle unseren herzlichen Dank aussprechen möchten. Was für ein Ort! Welch Ausstattung! Alles stimmte: die Sitzsäcke in den Liveability-Farben Orange und Lila, ein historischer Wagen auf Schienen (!), auf dem das farbenfrohe Catering aufgebaut war, ein stimmiges, hochwertiges Liveability-Merch-Paket mit Tote-Bags, Notizbüchern und Postkarten mit unserer symbolischen Blume. Dazu kam eine große Gastfreundschaft von Seiten des Technik- und Cateringteams. Wir konnten uns als Lead-Partnerin ganz auf den Austausch mit den Gästen konzentrieren, da organisatorisch alles perfekt vorbereitet war, und hatten so mehr Zeit, die Partner*innen aus den sechs Pilot- und sechs Partnerstädten herzlich zu begrüßen. Nach drei Jahren voller Experimente, neuer Methoden und innovativer Werkzeuge wie der Charta für lebenswerte Städte und dem Liveable Cities Label, kam es zu einem bewegenden Abschluss.
Der erste Tag begann mit der Keynote Conversation zwischen Tina Saaby, Direktorin des Danish Town Planning Institute und ehemalige Stadtarchitektin von Kopenhagen, und Renāte Lagzdiņa, Direktorin des Botanischen Gartens der Universität Lettlands. Unter dem Titel „The Long Bloom: Past Lessons and Future Visions for Liveable Cities“ (Die lange Blüte: Lehren aus der Vergangenheit und Visionen für lebenswerte Städte) verbanden sie städtebauliche Erfahrungen mit langfristigen Entwicklungsprozessen und sprachen über Wachstum, das Zeit braucht – in Städten wie in Gemeinschaften. Darauf folgte ein abwechslungsreiches Programm mit Präsentationen aus den Pilot- und Twin Cities, Einblicken in die Entwicklung der Charter und des Labels, Panels zur lokalen Bürger*innenbeteiligung sowie Diskussionen über moderne Methoden der Stadtentwicklung.
Den ersten Tag moderierte Viesturs Celmiņš, Stadt- und Regionalplaner, Anthropologe und Geschäftsführer von VEFRESH – ein Innovationsviertel und Living Lab in Riga. Mit mehr als 15 Jahren internationaler Erfahrung in Stadtentwicklung, Innovation und partizipativer Planung führte er gekonnt durch den ersten Tag, als ob er bei drei Jahren Projektgeschichte live dabei war – mit einem umfassenden Blick auf die Thematik und mit empathischem Ton. Der Abend fand seinen Abschluss im Museum – mit veganem Essen, stimmungsvoller Livemusik und ausgelassener Stimmung, bei der das Tanzbein geschwungen wurde, sich Gespräche vertieften und die Eindrücke des Tages nachklangen.
Der zweite Tag stand im Zeichen des Austauschs zwischen Generationen und Stadtmacher*innen. Zuerst: das Lernen vor Ort. Wir erkundeten die Nachbarschaft Grīziņkalns (Grīziņkalns Viertel), geführt von Kaspars Kursišs von der lokalen Bürgerinitiative, und bekamen Einblicke in Plätze, Parksituationen und alltägliche Lebensräume. Danach besuchten wir Sarkandaugava, das erste von einer NGO geführte Gemeinschaftszentrum in Riga, wo uns Māris Jansons von der Riga Neighbourhood Alliance die Räumlichkeiten zeigte – ein lebendiger Ort mit Räumen für Workshops, Beratung, gemeinschaftliche Treffen, Kulturaktivitäten und niedrigschwellige Beteiligungsformate für die Einwohner*innen.
Die Liveability Talks Live Sessions
Zurück im Museum begann der Teil, auf den wir besonders gewartet hatten: die Liveability Talks Live Sessions. Die Speaker*innen diskutierten über Herausforderungen moderner Städte wie kommunale Steuerung und Entscheidungsprozesse, Bildung, Beteiligung und neue Formen interdisziplinärer und verwaltungsübergreifender Zusammenarbeit. Zuerst fanden die lokalen Talks statt. Unser Kollege Jonas Büchel, Co-Founder des Urban Institute Riga, gab die Bühne frei für vier starke Frauen: Signe Pērkone, Architektin und Stadtplanerin im Stadtentwicklungsdepartement Riga, Ieva Lāce-Lukševica, Architektin und Aktivistin im Architekturbüro NRJA, Linda Zaļā, Landschaftsarchitektin und Gründerin von Zala Landscape Architects, sowie Ingrīda Strazdiņa von der NGO Green Liberty. Gemeinsam sprachen sie über lokale Herausforderungen, besondere Errungenschaften und Good Practices. Im zweiten Teil der Talks folgten die internationalen Beiträge. Caroline Paulick-Thiel und Blasius Walch von Politics for Tomorrow aus Berlin rüttelten die Zuhörer*innen mit interaktiven Sessions aus dem Nachmittagstief wach und stellten die Methode des Trojanischen Pferds vor, bei der neue Ideen kreativ in bestehende Strukturen eingeführt werden.
Abgelöst wurden sie von den Young Urban Planners aus Göteborg. Die jungen Stimmen brachten frische, offene Perspektiven ein. Acht junge Menschen standen auf der Bühne – mit klaren Visionen, die längst ins Handeln umgesetzt werden. Ihre anschaulichen Beispiele wurden begeistert beklatscht. Sie bewegten das Publikum so stark, dass der eine oder andere sogar zu Tränen gerührt war.
Nikolaj Sveistrup aus Kopenhagen, Leiter der Entwicklungsabteilung beim Brundtland ThinkTank und Gründer von URBAN AGENDA, nahm die Stimmung auf und verband sie mit einem optimistischen, aber mahnenden Ausblick auf die Zukunft urbanen Lebens: Aktives Handeln für lebenswerte Städte ist heute wichtiger denn je.
Die Talks in Riga zeigten, wie produktiv es sein kann, wenn unterschiedliche Generationen gemeinsam über Stadtentwicklung nachdenken – mit Mut, Neugier und manchmal unbequemen Fragen. Die Sessions wurden aufgezeichnet und können hier angeschaut werden: https://www.youtube.com/live/dilelolQemA?si=3_sFl62rg_laNy98
Unsere Kollegin Berte Sophie Petersen hielt wiederum die zwei Tage mit ihren Graphic Recordings in Echtzeit fest – künstlerisch und mit sicherer Hand setzte sie Diskussionen, Ideen und Impulse in Bilder, Symbole und kurze Stichworte um.
Am Abend dinierte die Gruppe der Partner*innen, Gäste und Young Urban Planners im Rooftop-Restaurant des Gutenbergs Hotel mitten in der Altstadt Rigas. Mit einem imposanten Blick über die Stadt, lokalen Köstlichkeiten und Dankesreden wurde auf die erfolgreiche Projektzeit angestoßen, Anekdoten wurden geteilt und die Bande untereinander vertieft. Zwei Tage voller intensiver Erfahrungen und Feierlichkeiten mit insgesamt 130 Teilnehmenden gingen zu Ende, doch damit war es für uns noch nicht vorbei.
Internes Liveability-Partnermeeting: Rückblick und Ausblick
Am dritten Tag kamen die Projektpartner*innen zum internen Abschlussmeeting zusammen. Rückblick und Ausblick standen im Mittelpunkt. Es wurde gelacht, erzählt, manche hatten Tränen in den Augen. Unter der Leitung unserer Kollegin Insa Olshausen sorgten aktivierende Methoden für neuen Schwung in der Runde, die das Band zwischen uns stärkten. Besonders schön war die Idee, dass jeder eine Karte an das eigene Ich in fünf Jahren schrieb – ein persönlicher Ausblick in die Zukunft. Wir spürten mehr denn je, dass sich eine starke Partnerschaft zwischen den Beteiligten entwickelt hat. Es wurde klar, dass Liveability nicht mit dem Projektende endet, sondern das europäische Netzwerk für lebenswerte und resiliente Städte weiter bestehen wird. Aus zwölf Pilot- und Twin Cities sowie vielen Partnerorganisationen ist in drei Jahren ein Netzwerk entstanden, das von zwischenmenschlichen Beziehungen getragen wird, und nun beginnt eine neue Phase – getragen von Menschen, die in verschiedenen europäischen Städten des Ostseeraums leben, aber eine gemeinsame Vision teilen.
Über Liveability
Das Interreg-Projekt Liveability geht der Frage nach, wie wir unsere Städte zukünftig lebenswerter gestalten können. Ziel des Projekts ist es, öffentlichen Verwaltungen innovative Methoden an die Hand zu geben, um gemeinsam mit Bewohner*innen lebenswerte und attraktive Stadtumgebungen zu schaffen. Im Fokus der Betrachtung stehen mittlere und kleine Städte rund um die Ostsee.
Elf Organisationen, davon sechs Kommunen im Ostseeraum (Gdynia, Guldborgsund, Kiel, Kolding, Pori und Riga), entwickeln gemeinsam eine nutzer*innenzentrierte Herangehensweise, die gegenwärtig in einem nachbarschaftlichen Quartier in jeder Stadt erprobt wird. Die unterschiedlichen Hintergründe der Partner*innen aus Verwaltung, Kultur und Design ermöglichen einen vielfältigen Blick auf diese Fragestellungen und kreative Lösungsansätze.