Jungen Menschen mit Migrationsgeschichte wird häufig politisches Desinteresse unterstellt. Wenn sie sich dennoch beteiligen wollen, sollen sie sich am besten selbst organisieren. Doch liegt mangelnde Beteiligung wirklich an fehlendem Interesse oder sind strukturelle Barrieren, historisch gewachsene Ausgrenzungserfahrungen und rassistische Vorurteile die eigentlichen Ursachen? Und welche Unterschiede lassen sich in West- und Ostdeutschland erkennen?
Mit diesen Wahrnehmungen und den dahinterliegenden Erfahrungen haben wir uns bei der digitalen Kick-off-Veranstaltung des Projekts Bruchlinien – Lebenswege zwischen Freiheit und Unterdrückung am 04.12.2025 gemeinsam mit Akteur*innen aus Jugend-, Bildungs- und Migrationsarbeit auseinandergesetzt.
Dr. Daniel Kubiak, Soziologe am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung, machte anhand von fünf Aspekten – ostdeutsche Identität, Mobilität, Teilhabe, Alter und öffentlicher Raum – deutlich, wo die Partizipation junger Menschen mit Migrationsgeschichte in Ostdeutschland erschwert wird. Dabei gehören unter anderem struktureller Rassismus und existenzielle Unsicherheiten wie ungeklärte Aufenthaltsstatus oder finanzielle Instabilität zu den größten Herausforderungen, die wir gesamtgesellschaftlich angehen müssen.
Auch Jana Michael, Integrationsbeauftragte der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern, bestätigte diese strukturellen Hürden. Sie betonte, dass Menschen mit Migrationsgeschichte in politischen Entscheidungsebenen nach wie vor kaum vertreten sind und dass diese fehlende Sichtbarkeit Beteiligung zusätzlich erschwert. Um dem entgegenzuwirken, brauche es verlässliche Kooperationen und einen bewussten Einsatz für mehr Repräsentation.
Zwei Perspektiven aus der Praxis zeigten anschließend, wie junge Menschen und Institutionen trotz dieser Hürden Räume für Partizipation schaffen:
Masah Allahham, Mitbegründerin der migrantischen Selbstorganisation „Jugend spricht“ aus Mecklenburg-Vorpommern, hat trotz mangelnder Förderungen und knapper Ressourcen einen Raum für Austausch, Kreativität und Handlungsfähigkeit für andere junge Menschen eröffnet. Auch historisch-politische Bildung, die Pluralität und Partizipation ermöglichen möchte, bringt einige Herausforderungen mit sich. Luisa Taschner, die pädagogische Leiterin des Bildungsforums am Grenzhus Schlagsdorf – Informationszentrum innerdeutsche Grenze, zeigte am Beispiel des Projekts „FREMD – deutsche Teilungs- und Einigungsgeschichte“, dass lokale Geschichte für alle relevant sein kann, auch wenn die eigenen familiären Geschichten an anderen Orten spielen. Dafür müssen wir uns mit Respekt begegnen und Vertrauen durch Zuhören schaffen.
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