Nachhaltige Transformation in der Chemiebranche (16/16)

Podcast

Uns geht es in dieser Folge um die Frage wie ein Wirtschaften mit Zukunft in der Chemie-Branche möglich ist. Wir haben die Firma InfraLeuna besucht, die am traditionsreichen Chemiestandort Leuna in Sachsen-Anhalt über 100 Firmen mit Energie versorgt und eine Infrastruktur zur Verfügung stellt, die ein vernetztes Arbeiten ermöglicht.

Heiko Kreft hat für die Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt die Firma InfraLeuna besucht, die am traditionsreichen Chemiestandort Leuna über 100 Firmen der chemischen Industrie mit Dampf, Strom, Gas versorgt und die nötige Infrastruktur zur Verfügung stellt. Mit Martin Naundorf, der den Bereich Vertrieb und Standortentwicklung betreut, spricht er über die Transformation eines der wichtigsten europäischen Chemiestandorte. Zusammen mit seinem Team arbeitet Martin Naundorf daran, dass sich der Standort Leuna nachhaltig entwickelt und Wirtschaften mit Zukunft möglich ist.

Podcast mit:

  • Heiko Kreft, Journalist vom Audiokollektiv

  • Martin Naundorf, InfraLeuna GmbH, Bereichsleiter Vertrieb, Standortentwicklung, Öffentlichkeitsarbeit

Diese Podcastreihe wurde im Rahmen des Verbundprojektes„Wirtschaften mit Zukunft“ konzipiert: https://www.boell.de/de/wirtschaften-mit-zukunft 

 

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Shownotes:

InfraLeuna GmbH: https://www.infraleuna.de/ 

Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt: https://boell-sachsen-anhalt.de/de

Transkript:

Intro:

Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge der Reihe „Böll.Regional“, in der wir euch Projekte aus verschiedenen Bundesländern vorstellen. Diese Staffel dreht sich um die Frage nach einem Wirtschaften mit Zukunft. Wir werden dabei Projekte und Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen präsentieren, die uns Wege zu einem nachhaltigen Wirtschaften zeigen.

Heiko Kreft: Kühltürme, Schornsteine, unendlich erscheinende Rohrsysteme – der Chemiepark Leuna ist schon von weitem zu sehen. Gelegen in Sachsen-Anhalt, vor den Toren von Halle/Saale ist er einer der wichtigsten europäischen Chemiestandorte. 15.000 Beschäftigte arbeiten auf dem traditionsreichen Gelände.

Ich stehe vor dem 1923 im neoklassizistischen Stil errichteten ehemaligen Direktionsgebäude der Leuna-Werke. 240 Meter lang - ein Haus das beeindrucken will und beeindruckt. Es strahlt die damalige Zukunftsgewissheit der Chemiebranche aus.

Kaiserreich, Weimarer Republik, NS- und DDR-Zeit. Seit mehr als 100 Jahren wird hier in Leuna produziert. Früher oft zulasten der Umwelt. Heute arbeiten mehr als 100 Firmen im Chemiepark.

Im historischen Hauptgebäude treffe ich Martin Naundorf. Er leitet den Bereich Vertrieb und Standortentwicklung der Firma Infraleuna. Zusammen mit seinem Team arbeitet er daran, dass sich der Standort Leuna nachhaltig entwickelt und Wirtschaften mit Zukunft möglich ist.

 

Heiko Kreft: Infraleuna - der Name sagt es ja schon: Es muss irgendwas mit "Infra"- Infrastruktur zu tun haben. Was ist die Aufgabe der Firma?

Martin Naundorf: Wir kümmern uns quasi in einer Form als "qualifiziertes Stadtwerk" um die Infrastruktur des Standortes. Das heißt, wir ver- und entsorgen unsere Kunden mit allen benötigten Medien und Dienstleistungen, die man als Produzent in der chemischen Industrie braucht. Dazu zählen Dampf, Strom, Gas, aber eben auch Dienstleistungen wie zum Beispiel Werkschutz und eine Feuerwehr.

 

Heiko Kreft: Seit wann gibt es die Firma Infraleuna?

Martin Naundorf: Die Infraleuna ist 1995 gegründet worden und Anfang 1996 an den Start gegangen.

 

Heiko Kreft: 1995 hat dieser Chemiestandort nicht begonnen zu arbeiten. Ein bisschen Geschichte ist ja dahinter....

Martin Naundorf: Das ist richtig. Der Chemiestandort ist 1916, während der Zeit des Ersten Weltkrieges, damals im Auftrag des Deutschen Reiches von der BASF gegründet worden oder begründet worden und hat sich dann über die Jahre sukzessive vergrößert. Ist auch in der DDR-Zeit gewachsen und letztlich erst nach der Wende in die heutigen Strukturen aufgegangen.

 

Heiko Kreft: Das heißt mit dem Ende der DDR und mit der Privatisierung der Leuna-Werke ist dann Infraleuna entstanden.

Martin Naundorf: So kann man das sagen. Man hat ja hier in der mitteldeutschen Region verschiedene Privatisierungsmodelle verfolgt. Und nachdem klar war, dass Leuna letztlich zu groß war, um eine Privatisierung analog von Schkopau zu verfolgen, hat man dann die einzelnen Wertschöpfungsketten in Leuna separat privatisiert. Und die Infrastruktur letztlich als eine Art Residuum in einer Gesellschaft zusammengeführt und die dann ausgegründet.

 

Heiko Kreft: Ich habe auf der Website wahnsinnig beeindruckende Zahlen gesehen. Wenn man da rauf guckt: das ist ja wirklich ein riesiger Standort. Also ich habe da gelesen: 1.820 Fußballfelder bedeckt der Chemiepark. Können Sie noch ein paar mehr "Protzzahlen" sagen?

Martin Naundorf: Ja, wir sind in der Tat der flächengrößte Industriestandort in Deutschland. Nicht der umsatzstärkste - da haben uns einige Kollegen noch ein Stück weit voraus, aber tatsächlich der flächengrößte. Und wir wickeln auch einen Großteil der Transporte beispielsweise mit der Bahn ab. Wir fahren über 8 Millionen Tonnen Güter mit der Bahn. Wir sind der zweitgrößte Energieverbraucher im gesamten Land Sachsen-Anhalt. Also schon ein wirtschaftlich bedeutsamer Standort für die Region.

Heiko Kreft: Es gibt doch bestimmt Herstellerfirmen auf ihrem Gelände, wo man weiß: Ah, das Produkt nutze ich zum Beispiel auch...

Martin Naundorf: Fangen wir vielleicht mal bei was relativ Einfachem an. Da sind Schmieröle, die Addinol herstellt. Die finden Sie in jedem Kfz In jedem Kfz-Handel können Sie die Kanister kaufen. Sie finden die Epoxidharze von Leuna Harze in Windmühlenflügel, in Turbinen, in Turbinenanlagen. Sie finden sie aber auch in schweren Beschichtungssystemen. Sie finden die Polymere von Domo in Teppichen und auch in Bekleidung. Sie finden aber auch die Vorprodukte für Flüssigkristallbildschirme aus LCP, einer Daicel-Tochter, in ihren elektronischen Geräten, in Displays, in Bildschirmen. Das sind so vielleicht plakative Themen, die man, die man da gut nennen kann.

 

Heiko Kreft: Welchen Beitrag leistet denn Infraleuna für zukunftsorientierte chemische Industrie?

 

Martin Naundorf: Unsere Aufgabe ist es, dem Kunden eine Produktionsumgebung, eine Infrastruktur zu bieten, die es ihm ermöglicht, im weltweiten Wettbewerb am Standort Leuna wirtschaftlich zu produzieren. Das heißt nicht nur einfach die Infrastruktur hinzustellen und zu betreiben, sondern eben maximal wirtschaftlich zu betreiben, damit es weiter möglich ist, auch in Deutschland chemische Produktion betreiben zu können.

 

Heiko Kreft: Und warum ist das gut, dass die chemische Produktion in Deutschland passiert?

 

Martin Naundorf: Die chemische Industrie ist eine wesentliche Basisindustrie, die Grundlage für viele, viele Produktionsprozesse in anderen Branchen bietet. Sie ist eine grundlegende Branche, die ganz, ganz wichtig für die Wertschöpfung in Deutschland, für eine industrielle Basis in Deutschland ist. Und ich glaube, dass die chemische Industrie in Deutschland sowohl technologisch als auch von den Arbeitsbedingungen her eine wesentliche Vorreiterrolle auch weltweit spielt. Dass wir hier zu guten Bedingungen produzieren, sowohl im Hinblick auf die Umwelt als auch im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter und demzufolge einer Produktion in Deutschland immer der Vorzug zu geben ist gegenüber einer Auslagerung in andere Regionen.

 

Heiko Kreft: Inwieweit spielt Nachhaltigkeit eine Rolle beim Bewegen der Güter?

Martin Naundorf: Die spielt eine große Rolle, weil das einfach eine Anforderung ist, die unsere Kunden in zunehmendem Maße auch an uns stellen. Die Wertschöpfungsketten werden auch mit Blick auf die Infrastruktur, auf Nachhaltigkeit durchleuchtet. Und dort fragen uns unsere Kunden selbstverständlich nach Optimierungsmöglichkeiten. Da geht es darum, dass Güter erst mal per se auf die Schiene kommen und nicht mehr mit dem LKW fahren. Da geht es aber auch darum, dass selbst die Schienentransporte noch weiter optimiert werden, dass also ganz gezielt mit Elektrolokomotiven gefahren wird, dass nachhaltige Transportwege auch tatsächlich etabliert werden. Wir haben auch schon über Transporte nachgedacht, die mit verflüssigtem Biogas in LKW erfolgen. Da gibt es eine ganze Reihe von Überlegungen, an denen wir uns beteiligen.

 

Heiko Kreft: Die Besonderheit ist ja auch, dass es dieses Verbundsystem gibt, also tausende Rohrleitungen. Das ist ja auch ein Punkt von nachhaltigem Wirtschaften, wenn ich das richtig sehe...

Martin Naundorf: Das ist etwas, was die Chemieindustrie seit jeher verfolgt. Die Idee dieses Verbundstandortes ist ja nahezu so alt wie Leuna selbst, also über 100 Jahre. Dass man sowohl stofflich als auch energetisch einen Verbund dahingehend schafft, dass Transportwege kurz werden, dass Energien über den Zaun auf sehr kurzem Wege ausgetauscht werden und dass eben die unterschiedlichen Energieniveaus, wenn man zum Beispiel an Wärme denkt, wirklich sehr effizient genutzt werden. Indem höherwertige Wärme, die bei einem Kunden genutzt wird, umgewandelt wird in eine niederkalorische Wärme, dann auch weiter als niederkalorische Wärme Verwendung findet. Dass man also ein Optimum in der Produktionskette schafft und damit natürlich Ressourcen spart.

Heiko Kreft: Können Sie ein Beispiel nennen, wer zum Beispiel von wem, von welchem Ausgangsprodukt, von welchen Zwischenprodukt profitiert und alle am Ende etwas davon haben?

Martin Naundorf: Die Raffinerie stellt zum Beispiel eine Reihe von Rohstoffen hier für den Chemie Standort zur Verfügung. Das ist Benzol. Um ein Beispiel zu nennen, was dann anschließend bei der Domo weiterverarbeitet wird. Es gibt aber auch andere Vorprodukte, die hier am Standort hergestellt werden und dann am Standort selbst weiterverarbeitet werden. Leuna Harze beispielsweise stellt aus Natriumchlorid aus ganz normalem Kochsalz Natronlauge und Chlor her, verarbeitet das dann teilweise selber zu Epichlorhydrin und am Ende des Tages zu Epoxidharz. Das sind sehr komplexe Wertschöpfungsketten, die auch über die Unternehmensgrenzen hinaus stattfinden.

Heiko Kreft: Um all diese Produkte herzustellen, die Zwischenprodukte herzustellen, braucht man jede Menge Energie und die chemische Industrie ist einer der großen Verbraucher, weil es eben technisch so bedingt ist. Wie schaffen Sie als Infraleuna diese Energie für die Kunden bereitzustellen? Und was hat sich da in den letzten Jahren verändert?

Martin Naundorf: Wir haben natürlich große Anbindungen an die vorgelagerten Netze. Wir haben zwei Gas-Anbindungen an das öffentliche Netz, an das europäische Netz. Wir haben zwei Strom-Anbindungen an das öffentliche Netz und wir betreiben zwei große Kraftwerke mit insgesamt fünf Turbinen mittlerweile. Gasbetriebene Turbinen, die ebenfalls Strom erzeugen, die Wärme erzeugen insbesondere. Wir betreiben Kesselanlagen, wir haben Dampfturbinen, mit denen auch wiederum aus Wärme Strom erzeugt werden kann. Wir übernehmen - auch als Teil dieses nachhaltigen Verbundkreislaufes - Abhitze, Dämpfe von unseren Kunden in unsere Systeme integrieren die, arbeiten die teilweise auf und liefern sie wiederum an unsere Kunden, so dass ein komplexer Wärme-Strom-Kreislauf - schlussendlich auf der Basis von Abhitze, auf der Basis von Erdgas, aber auch auf Basis von Öl und auch von Hausmüll entsteht.

Heiko Kreft: Perspektivisch soll ja teilweise Energie auch aus anderen Quellen gewonnen werden. Was ist da genau geplant?

 

Martin Naundorf: Wir beschäftigen uns mit der Errichtung von Windenergieanlagen bzw. an Partnerschaften hier in der Region, um die Energie aus diesen Windenergieanlagen für den Standort Leuna zu nutzen. Wir haben selbst ein ganz großes Projekt zur Errichtung einer Photovoltaikanlage hier auf der Hochhalde von Leuna. Da sind interessanterweise jahrzehntelang die Braunkohlenaschen aus der energetischen Nutzung von Braunkohle verspült worden. Daraus ist ein schöner Hügel entstanden, den man hervorragend nutzen kann, um ihn mit PV zu belegen. Darüber hinaus schauen wir in eine nachhaltige Wärmeerzeugung, beschäftigen uns mit Themen wie zum Beispiel einem elektrisch betriebenen Dampfkessel. Nach dem einfach gesagt: Tauchsieder-Prinzip. Wo man auf Basis von nachhaltigem Strom dann auch die Wärme erzeugen kann. Das sind Themen, die parallel zu den Anforderungen unserer Kunden mitlaufen, um eben genau diese Anforderungen zu erfüllen.

 

Heiko Kreft: Jetzt fiel das Stichwort "Braunkohle" gerade schon. Das hat ja dazu geführt, dass die Regionen zu DDR-Zeiten hier nicht den allerbesten Ruf hatte. Wenn man jetzt hierherkommt: blauer Himmel auch im Dezember. Es ist nicht verrußt und schmutzig. Also es hat sich ja wahnsinnig viel getan seit der Wende. Gibt es da so Zahlen, wie die Umweltbelastungen gesunken ist?

 

Martin Naundorf: Wir haben ja in der Restrukturierung und auch danach laufend sehr, sehr viel Geld, über eine 3/4 Milliarde Euro, in die Erneuerung von Infrastruktur investiert. Auch zusammen mit - gerade in der Restrukturierung - staatlicher Unterstützung haben wir Anlagen modernisiert, haben neue Anlagen gebaut. Und das hat dazu geführt, dass in vielen Teilen die Umweltbelastung dramatisch zurückgegangen ist, Emissionen um mehr als 90 % reduziert worden sind. Wesentliche Stoffe, wie zum Beispiel Phenole, sind heute knapp an der Bestimmungsgrenze. Die kann man in den Abflüssen und in den Emissionen hier kaum noch nachweisen. Also hier hat es eine wesentliche Verbesserung bei den umwelttechnischen Parametern gegeben, und das ist natürlich auch etwas, woran wir weiter arbeiten.

 

Heiko Kreft: Ich kann mir vorstellen, dass es doch durchaus ziemliche wirtschaftliche Herausforderungen gibt. Also wenn man umweltfreundlich agieren möchte, wenn man Energieressourcen schonend und auch neuaufgestellt nachhaltig umgehen will. Wie groß sind da die Herausforderungen für Infraleuna? Und wie wohlgemut schaut man da in die Zukunft?

 

Martin Naundorf: Der energetische Umbau des Standortes kostet sehr, sehr viel Geld. Dort wollen und werden wir investieren. Aber wir dürfen natürlich auf diesem Weg unsere Kunden auch nicht verlieren. Also die Anforderungen, die politisch gestellt werden, die muss man auch erwirtschaften. Und diesen Weg muss man auch wirtschaftlich im Vergleich und im Wettbewerb mit anderen Regionen gehen können. Die großen Herausforderungen sind weniger technischer Natur, es sind am Ende finanzielle und wirtschaftliche Kriterien und partiell Fragen mit Blick auf die Qualifizierung der Mitarbeiter. Dass man eben Kollegen, die über lange Zeit tradierte technische Systeme gefahren haben, an neue Herausforderungen heranführt und sie befähigt, letztlich auch andere technische Systeme bedienen und steuern zu können.

Heiko Kreft: Als Dienstleister für die Firmen hier auf dem Gelände sorgen Sie ja auch für Energiesicherheit. Nun ist mit den geopolitischen Verwerfungen der Energiemarkt ziemlich aus dem Gleis geraten. Was bedeutet das für Sie konkret?

Martin Naundorf: Zum einen haben wir sehr viel Volatilität im Markt - wir haben sehr, sehr viel mehr Steuergrößen im Markt. Und vor allem: wir haben auch einen sehr politisch getriebenen Markt natürlich. Für die Kunden ist die Herausforderung insbesondere das absolute Preisniveau in den Energiemärkten. Hinsichtlich der Versorgungssicherheit waren wir immer sehr stabil aufgestellt und sind es nach wie vor. Und das ist am Ende des Tages auch unser Anspruch, dass die Versorgungssicherheit unserer Kunden zu jedem Zeitpunkt gewährleistet ist. Das ist oberstes Gebot und danach richtet sich unser gesamtes Handeln. Natürlich - und das ist die zweite Prämisse, muss es auch wirtschaftlich sein. Da versuchen wir, die Chancen des Marktes zu nutzen, den Risiken nach Möglichkeit aus dem Weg zu gehen und eben diese Komplexität für uns tatsächlich zu nutzen, indem wir mit hochflexiblen Anlagen und mit sehr, sehr intelligenter Steuerung die Chancen in der Form nutzen, dass wir sie unseren Kunden zugänglich machen können.

 

Heiko Kreft: Welche Rolle spielen dann solche großen Investitionen wie 145 Millionen Euro für die Modernisierung eines Kraftwerks?

Martin Naundorf: Die spielt eine erheblich große Rolle, weil genau dieses Kraftwerk uns weitere Flexibilität bringt. Die Besonderheit dieses Kraftwerks ist, dass es sehr schnell und in großen Gradienten regelbar ist. Das heißt, wir können dieses Kraftwerk sehr schnell hoch und auch sehr schnell wieder runterfahren. Das führt dazu, dass insbesondere Schwankungen, die im vorgeordneten Netz auftreten - beeinflusst durch Strom aus erneuerbaren Energien - dass wir diese Fluktuationen mit dem Kraftwerk abfangen können. Zum einen das Netz innerhalb des Standortes stabilisieren können, aber auch Marktchancen, die sich im vorgeordneten Netz bieten, mit diesem Kraftwerk nutzen können. Das heißt: Es sorgt zum einen für eine hohe Versorgungsstabilität hier auf dem Standort selbst. Es stabilisiert das Stromnetz am Standort und wir können damit eben auch einen Beitrag zur Stabilisierung des vorgeordneten Netzes leisten. Und das funktioniert eben nur, wenn man innerhalb einer Viertelstunde - das ist die Maßeinheit, in der am Strommarkt gemessen wird - wenn wir innerhalb dieser Viertelstunde wirklich sehr hohe Laständerungsgeschwindigkeiten hinbekommen. Und das ist mit diesem Kraftwerk möglich und deswegen hat sich, denken wir, diese Investition sehr, sehr gelohnt. Weil wir eben diese Fluktuationen, die in den Märkten sehr, sehr stark angestiegen ist, dass wir die im positiven Sinne für uns nutzen können.

 

Heiko Kreft: Was ist denn noch so geplant in den kommenden Jahren?

Martin Naundorf: Wir werden uns vor allen Dingen in der Energieversorgung, in den Energiemärkten noch mal orientieren und schauen, dass wir auch hier in Zukunft die Anforderungen unserer Kunden an erneuerbare Energien, an nachhaltige Dampfversorgung, an eine nachhaltige Stromversorgung erfüllen können. Und wir werden sicherlich was die Erweiterung des Standortes betrifft, auch aktiv weiter daran arbeiten, dass wir hier das Wachstum für Leuna gewährleisten können.

 

Heiko Kreft: Ich habe auf dem Weg hierher auch gesehen, es gibt noch so ein paar Leerstellen, wo noch was hingebaut werden kann. An welchen Industriezweigen, an welchen Entwicklungen haben Sie denn Interesse?

 

Martin Naundorf: Wir haben seit einigen Jahren uns sehr darauf orientiert, den Wandel hin zu einer nachhaltigen Chemie auch am Standort zu etablieren. Der erste große Schritt ist uns gelungen mit der Ansiedlung von UPM. Da ist eine Anlage gekommen, die eine Investition von etwas über einer Milliarde Euro nach sich zieht. Die auf Basis von Holz, also einem nachwachsenden erneuerbaren Rohstoff, eine Basischemikalie - Ethylenglykol - erzeugt. Der zweite Schritt war eine Anlage des japanischen Herstellers Topas, der gehört ebenfalls zur Daicel-Gruppe, die ein besonderes Polymer erzeugen, was hauptsächlich das Recycling von Kunststoffen erleichtert. Es gibt auch viele, viele andere Felder, wo wir uns umschauen nach Projekten nachhaltiger Chemie und auch natürlich bei den nachhaltigen Kraftstoffen. Da ist es uns gelungen, die Pilotanlage des DLR hier auf den Standort Leuna zu akquirieren. Dort wird in einer Kapazität von etwa 10.000 Jahrestonnen eine Anlage entstehen, die nachhaltige Flugkraftstoffe erzeugt, also sogenannte Sustainable Aviation Fuels, SAF abgekürzt. Das DLR wird 2024 hier anfangen, diese Anlage zu errichten, und dann in eigenen Anlagen und dann auch mit eigenem Material diese erneuerbaren Flugkraftstoffe natürlich auch zu testen. Das sind Entwicklungen, von denen wir denken, dass sie den Standort langfristig absichern, dass sie auf nachhaltiger Basis Chemikalien erzeugen, die die Industrie in Summe braucht. Die wir alle brauchen. Die aber gleichzeitig eben in einer Art und Weise entstehen, die dem Planeten zuträglicher sind als das, was bisher die Grundlage war. Nämlich ganz am Anfang die Braunkohle und dann zwischendrin auch mal das Öl, nach wie vor auch noch zum großen Teil Öl und Gas. Aber das ist eben die Entwicklung, wo wir mittelfristig hinwollen: Dass wir das ablösen durch erneuerbare Rohstoffe.

 

Outro:

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