Der andere Blick auf die Welt

Internationale Solidarität. Kampf für eine gerechtere Weltordnung. Demokratie, soziale und ökologische Gerechtigkeit im globalen Maßstab zusammendenken: Von Beginn an hatten die Grünen eine Sichtweise auf die Welt, die bis dahin unbekannt war und die bis heute ihre Arbeit und die der Heinrich-Böll-Stiftung prägt.

Von Barbara Unmüßig

Fishbowl-Diskussion im Stiftungsgebäude der Bundesstiftung in Berlin.

Die Gründung der Grünen ist sehr eng verwoben mit dem gesellschaftlichen und ­politischen Aufbruch der 1970er-Jahre. Ohne die Friedens-, Ökologie-, Frauen- und Dritte-Welt-Bewegung hätte es wohl keine neue Partei gegeben. Ihre programmatischen Impulse speisten sich besonders aus der Ökologie- und Friedensbewegung. Bemerkenswert ist, welch großen Stellenwert die Außenpolitik und Nord-Süd-Politik bereits im ersten Bundesprogramm der Partei im Jahr 1980 einnahm. In der Präambel heißt es dort: «(...), dass wir uns gegen die Besetzung von Staaten und die Unterdrückung von Volksgruppen wenden und für Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der Volksgruppen in allen Staaten eintreten. Frieden ist untrennbar (…) mit dem Vorhandensein demokratischer Rechte verbunden.» Damit war die grundsätzliche Orientierung der Partei bereits skizziert.

Globale Abrüstung, Gewaltfreiheit und Menschenrechte sowie das Selbstbestimmungsrecht der Völker bildeten den programmatischen Kern der Grünen der ersten Stunde. Der oberste Grundsatz war, dass humane Ziele nicht mit inhumanen Mitteln erreicht werden können. Die Partei bekannte sich zu einer aktiven Friedenspolitik. Welche Widersprüche und Zielkonflikte sich daraus ergeben, wurde schon in den ersten Jahren nach der Parteigründung deutlich. Immer wieder gab es heftige Kontroversen zu den Fragen von Gewaltfreiheit und Legitimität von bewaffnetem Widerstand («Waffen für El Salvador»). Sie mündeten in den scharfen Auseinandersetzungen rund um die militärischen Interventionen unter grüner Regierungsbeteiligung auf dem Balkan und in Afghanistan.

Als die Partei 1983 in den Bundestag einzog, galt die Weltordnung, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden war. Auf der einen Seite der Hegemon USA und die neu gegründeten Institutionen von der NATO bis zu den Finanz- und Handelsorganisationen. Auf der anderen Seite Moskau als zweitem Zentrum im Ost-West-Konflikt und Kalten Krieg.

In den 1980er- und 1990er-Jahren unterstützten die Grünen die zahlreichen ­Befreiungs- und Emanzipationsbewegungen und die jeweiligen Solidaritätsgruppen, die sich um die Kämpfe gegen Militärdiktaturen in Mittel- und Lateinamerika, gegen das Apartheidregime in Südafrika oder um Stellvertreter- und Bürgerkriege im Nahen Osten, Afrika und Asien gebildet hatten: «Wann immer irgendwo auf dem Globus Unrecht geschah und die betroffene Bevölkerung und internationale Solidaritätsgruppen dies öffentlich anprangerten, fand sich ein Abgeordneter der Grünen, der dieses Problem zumindest in einer Kleinen Anfrage im Bundestag zur Sprache brachte.»1 Der Anspruch, parlamentarischer Arm der Bewegung, der Anwalt der Schwachen zu sein, den Unterdrückten eine Stimme geben – das wurde mit vielfältigen parlamentarischen Initiativen, mit spektakulären Reisen und Aktionen grüner Mitglieder und Abgeordneter nachgerade zelebriert.

Neben der Solidarisierung mit Emanzipationsbewegungen – es gab sogar einen Solidaritätsfonds für Dritte-Welt-Länder, der mit Abgeordnetendiäten finanziert wurde – etablierte sich sehr bald ein zweiter thematischer Strang: die Auseinandersetzung mit einer ungerechten Weltordnung, die soziale Ungleichheit, ökologische Zerstörung und politische Asymmetrien zwischen Nord und Süd schafft. Strukturen und Rahmenbedingungen der Weltwirtschaft gerieten in den Fokus: Behindern oder fördern sie eine soziale und demokratische Entwicklung in Entwicklungs- und Schwellenländern? Was sind die strukturellen Voraussetzungen, um globale Gerechtigkeit zu schaffen und Armut zu überwinden? Die Grünen stellten die klassische Entwicklungspolitik beharrlich in Frage, weil auch sie für außenwirtschaftliche und politische Interessen im Kalten Krieg instrumentalisiert wurde und de facto – und anders als behauptet – gar nicht den ärmsten Bevölkerungsgruppen zugute kam.

Massiv in der Kritik standen der Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank, die Lateinamerika und Afrika im Zuge der Schuldenkrisen neoliberale Strukturanpassungsprogramme aufzwangen. Damit zementierten sie neue politische und ökonomische Abhängigkeiten des Südens vom Norden, trieben viele Menschen in die Armut und beschleunigten die ökologische Zerstörung. Die Washingtoner Organisationen radikal zu reformieren, war deshalb eine der Kernforderungen einer breiten internationalen Kampagne, die 1988 einen Höhepunkt in den Demonstrationen anlässlich der IWF-Weltbankjahrestagung in Berlin fanden.

Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit vieler grüner Initiativen standen zudem die strukturellen Ursachen der Abholzung der Regenwälder, also unser Fleisch- und Holzbedarf, aber auch Infrastrukturprojekte wie Großstaudämme. Ebenso rückten diese Initiativen die ersten Anzeichen des Klimawandels, wie das Ozonloch und den Treibhauseffekt, in den Fokus. Staatliche Entwicklungshilfe müsse zuallererst als globale Strukturpolitik begriffen werden, so die Forderung damals. Fortschrittliche, solidarische Projekte sollten zusätzlich die demokratischen Entwicklungen in den Entwicklungsländern fördern.

Partei und Fraktion waren ein wesentlicher Motor und wichtiger Teil dieser globalen Kampagnen. Sie gehörten damit sehr früh zu den Kritikern einer Globalisierung, die mit ihren Dogmen der Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung und der maximalen Integration der Wirtschaft in den Weltmarkt allenfalls die politischen und wirtschaftlichen Eliten in den Entwicklungsländern stärkten – statt Demokratie, Menschenrechte und soziale Entwicklung zu stützen und zu fördern. Neben der Kritik an IWF und Weltbank erarbeiteten sie vor allem Reformkonzepte für eine andere Weltordnung, für eine andere Finanzmarkt- und Handelspolitik. «Wege in eine solidarische Weltwirtschaft» – das war Ende der 80er Jahre ein programmatisches und zukunftsorientiertes Konzept für eine gerechtere, sozialökologische Weltordnung.

Der Umbau der Industriegesellschaft und eine Neuordnung weltwirtschaftlicher Strukturen wurden dabei eng zusammengedacht mit dem Ziel, für alle Menschen auf dem Planeten eine Zukunft zu schaffen, die auf ökologischen Lebensgrundlagen, Frieden, sozial gerechter Entwicklung, Wahrung der Menschenrechte und Demokratie beruht.

Das war eine bis dahin ziemlich unbekannte Sichtweise auf die Welt. Diese Sichtweise und die Leitideen der Verwobenheit von demokratischen, sozialen und ökologischen Fragen im globalen Maßstab prägen bis heute die Programmatik der Bündnisgrünen und insbesondere die Arbeit der Heinrich-Böll Stiftung, die seit ihrer Gründung 1996 ihr globales Netzwerk ausbaut und mit vielen Partnerinnen weltweit für ein gutes Leben für alle streitet.

Barbara Unmüßig ist seit 2002 Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung und war wissenschaftliche Mitarbeiterin der ersten Bundestagsfraktion der Grünen.

Mehr Informationen zur Grünen Geschichte findet ihr im Böll.Thema.


Literatur:

1 Eine fundierte Analyse der ersten 20 Jahre grüner Außen-, Friedens- und Nord-Süd-Politik findet sich bei: Ludger Volmer (1998), Die Grünen und die Außenpolitik – ein schwieriges Verhältnis, Münster.